Gedanken zum Monatsspruch Juli

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Gedanken zum Monatsspruch Juli

Monatsspruch Juli 2024:

Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist. (2. Mose  23, 2)

„Das ist nicht gerecht!“ – Wer kennt das nicht, die innere Stimme, die sich meldet, wenn etwas passiert, was wir für zutiefst ungerecht halten. Eigentlich haben wir da alle einen inneren Kompass und wenn der nicht reicht, findet sich in unserer christlichen Tradition ja immer der Fingerzeig auf die 10 Gebote. Was ich damit sagen will: es gibt genügend Kriterien für Gerechtigkeit und zugleich einen Gerechtigkeitssinn in den meisten Menschen, die eine*n in die Lage versetzen wahrzunehmen, wo Unrecht geschieht – und da nicht mitzumachen.

Doch irgendwie scheint das nicht so leicht zu sein. Das zeigt ein Blick auf Nazideutschland. Ein heute gängiger Begriff, der schnell verschleiert, dass es unsere (Ur-)Großeltern waren, um die es da geht. Ich denke da an meine eigene Familiengeschichte: Wir fahren im Käfer über die Autobahn zu meiner Oma und mein Vater sagt: „Das war noch deutsche Wertarbeit. Die Strecke hat noch der Adolf ausbauen lassen. Es war nicht alles schlecht früher.“ Bei meiner Oma angekommen, frage ich sie: „Was habt ihr eigentlich gemacht, als die Nazis gewählt wurden?“ „Ach Junge, das war nicht so leicht wie ihr das heute denkt! Dein Opa war Kassierer bei der NSDAP und unsere Nachbarn im Haus waren in der KPD. Die Kommunistin von nebenan sagte, wenn wir die Wahlen gewinnen, dann holen wir uns euren Wohnzimmerschrank. Was hätten wir tun sollen?“

So war das früher. Dinge werden vereinfacht. Die Kommunisten wollten Privateigentum enteignen und vergesellschaften. In der Lebenswelt meiner Oma wollten die Kommunisten ihr sozusagen ans Leder. Sie hatte einen Arbeiter geheiratet, obwohl ihr Vater einen Kolonialwarenladen besessen hatte und war sozial abgestiegen. Der deutschen Wirtschaft ging es nicht gut und das alltägliche Leben mit damals zwei Kindern war oft ein Überlebenskampf. Die Nazis damals waren in der Regel nicht die anderen, sondern wir- die eigene Familie. Getrieben von der Angst um die eigene Existenz, wurde der moralische Kompass außer Kraft gesetzt und nicht hingeschaut, was die „Nebenwirkungen“ des nationalsozialistischen Wirtschaftswunders waren: Die Verfolgung und Ermordung aller, die nicht-arisch waren und das Anzetteln des 2. Weltkrieges. „Nie wieder!“ hieß es jahrzehntelang in unserer Republik und nun?

Getrieben von der Angst um die eigene Existenz, wird der moralische Kompass außer Kraft gesetzt und nicht hingeschaut. Die Zustimmung den Menschen zur AfD zeugt davon, genauso wie die Diskussion um die Flüchtlinge aus anderen Ländern. Es wird nicht darum gerungen die Fluchtursachen zu beseitigen, sondern um Möglichkeiten Flüchtlinge nicht ins Land zu lassen. Ich erinnere an das Bild, das 2015 um die Welt ging: ein totes Flüchtlingskind am türkischen Strand – Alan Kurdi, 3 Jahre alt.

Ich spüre meine Hilflosigkeit. „Lieber Gott, setz den moralischen Kompass der Menschen wieder in Kraft, nimm den Ängsten, die uns umtreiben die Macht“.

Auch wenn es unangenehm ist, denke an den biblischen Hinweis: Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.

Pfarrer Reiner Dietrich-Zender

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